Die erste Kesslerin


Das Herz der Kesslerin ist ein 98er-System, eigentlich alles andere als die ideale Ausgangsbasis für einen superleichten Repetierer, dafür aber immer noch eines der sichersten und besten Systeme. Kessler verwendete 98er-Militärsysteme aus Berliner DWM-Fertigung von 1909 – beliebte Systeme für Custom Repetierer, die durch in großer Stückzahl hergestellte Militärsysteme einst auch noch ausreichend zur Verfügung standen. Heute sind 1909er- Systeme dagegen selten – und auch schon lange nicht mehr günstig.

 

Aber zurück ins Jahr 1999: Jagdbüchsen mit 98er-System waren nie wirklich schlank, auch wenn die ursprünglich von Mauser selbst gefertigten Pirschbüchsen schon sehr elegant waren. Der mit 35,8 mm reichlich stark dimensionierte Hülsenkopf und das militärische Kastenmagazin für fünf Patronen verhindern wirkungsvoll eine schlanke und im Magazinbereich niedrige Schäftung.

 

Nur mit einem Kürzen des Magazins war es auch nicht getan, denn dann reicht der Platz für den Abzug nicht mehr aus – alle auf dem Markt vertretenen Nachrüstabzüge für 98er sind für die Standardbauhöhe ausgelegt. Kessler musste für seinen 98er- Repetierer mit schlankem Drei-Schuss-Magazin also ein völlig neues Abzugssystem konstruieren: Der zur Verfügung stehende Platz nach der Reduzierung der Magazinkapazität auf drei Patronen beträgt knapp 2,5 cm – nicht gerade viel. Der patentierte Kessler-Abzug ist daher zweigeteilt – ein Teil ist auf dem Abzugsblech montiert. Die Konstruktion ist an sich ganz einfach und simpel. Es werden auch weitgehend modifizierte Originalteile des Militärabzuges verwendet. Das federbelastete, mit dem Abzugsblech verbundene Züngel ist mit einem Kreuzstück verbunden, das oben ein angearbeitetes V-förmiges Raststück aufweist, auf dem sich der Abzugsstollen abstützt.


Die Kraft der Schlagfeder wird über die angeschrägte Schlagbolzenmutter und die Rast des Abzugsstollens auf das Kreuzstück übertragen. Die so entstandenen günstigen Hebelverhältnisse machen einen (Rück-) Stecher, der sich beim noch verbliebenen Spielraum sowieso nie unterbringen ließe, überflüssig. Bei wirklich trockener Abzugscharakteristik löst ein Kessler-Abzug bei 600–800 Gramm aus – ein erstklassiger Abzug, der aber sehr saubere Arbeit beim Einschäften verlangt.

 

Die Systemlage muss bei diesem zweigeteilten Abzug unbedingt unveränderlich festgelegt sein, sonst kommt es zu Störungen, da die exakte Passung der Rastgriffe ja durch die Zusammenführung von Hülse und Abzugsblech erfolgt. Der Magazinkasten wurde gekürzt und nimmt jetzt noch drei Patronen auf, ein Klappdeckel ermöglicht das Entladen nach unten. Der Drücker für den Magazindeckel sitzt vorn im Abzugsbügel. Magazinkasten und Klappdeckel sind aber keine Neuanfertigung, diese Einrichtung besaß das Mauser-System 1909 schon von Hause aus. Der Magazinkasten wurde zur Gewichtserleichterung mit Bohrungen skelettiert.

 

Die Nase am Kammerhalter fräst Kessler ab und tauscht die militärische Flügelsicherung gegen eine horizontal arbeitende aus. Seine Version hat, wie die Originalsicherung, eine Mittelstellung und erlaubt das Öffnen des Verschlusses bei gesicherter Schlagbolzenmutter. Damit sich der Kammerfang bequem bedienen lässt, ist die Stirnseite mit griffiger Fischhaut verschnitten. Die sorgsam polierten Verschlussbahnen sorgen für einen gleitenden Verschlussgang. Der Kammerstengel mit großer Kugel ist so gebogen, dass er in Höhe des Abzuges endet und so schnelles Repetieren ermöglicht. Um die Büchse möglichst schlank zu halten, wurde der Durchmesser des Hülsenkopfes von ursprünglich 35,8 auf 32,4 mm verringert. Das System erscheint dadurch wesentlich zierlicher.

 

Durch die aufwendigen und umfangreichen Modifikationen verwandelte Kessler ein grobes Militärsystem in ein schlankes, niedrig bauendes System für elegante Jagdbüchsen. In den jetzt schlanken Hülsenkopf wird ein kalt gehämmerter, 55 cm-Heym-Stufenlauf geschraubt. Eigentlich wäre ein noch schlankerer Lauf zu erwarten gewesen (um Gewicht zu sparen), doch der Lauf der Kesslerin misst an der Mündung noch 15 mm. Sehr dünne Läufe haben selten eine wirklich gute Schussleistung und sind entsprechend wärmeempfindlich. Kessler wählt daher eine etwas stärkere Laufkontur und geht diesem Problem damit aus dem Weg – sicher ein guter Kompromiss, denn was nützen eingesparte 100 Gramm, wenn die Waffe dadurch nicht präzise schießt? Für den Schaft wird Nussbaumholz mit ölgeschliffener Oberfläche verwendet. Die Schaftform kann nur als gelungen bezeichnet werden und erinnert an Kipplaufbüchsen.

 

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