... und es gibt sie doch!
Bisher suchte man vergeblich eine leichte führige "Mountain Rifle" made in Germany. Wohl bisher einmalig, die vom Büchsenmachermeister Roland Kessler in Deggendorf gebaute "Kesslerin" - ein Repetierer auf Mauser 98er Basis. Dafür musste sich Roland Kessler einiges einfallen lassen.
Nahezu unerschöpfliche Vorräte gibt es von den mehr als 5 Miilionen gebauten Mauser 98er Standardsystemen. Das System gilt als besonders zuverlässig und ist bei Jagdbüchsen nach wie vor gefragt. Sein wohl einmaliges Design wurde zigmal nachgeahmt aber bisher nicht übertroffen. Bei der Jagd stehen Zuverlässigkeit und Sicherheit an erster Stelle. Beides kann von Jagdrepetierern auf Basis Mauser 98 erfüllt werden. Die zahlreichen auf dem Markt befindlichen Mauser 98er Repetierer hatten gemeinsam, dass es recht schwere und wenig führige Büchsen waren. Das Mauser System brauchte Platz und ist kein Leichtgewicht. Schon wegen der Abzugsgröße ließen sich bisher schnittige Schäfte nicht verwirklichen. Es schien so, dass sich die Büchsenmacher in Europa bisher keine Gedanken um einen tatsächlich schnittigen, führigen Repetierer machten. In den USA gibt es seit langem die „Mountain Rifles“. Sie werden stets leichter und leichter. Heute hat man bei Repetierern bereits die 2-kg-Marke erreicht. So leicht muss es gar nicht sein. Aber ein wirklich leichter Repetierer sollte die 3-kg-Marke nicht überschreiten. Dabei sind solche Büchsen nicht nur bei Gebirgs- und Extremjagden beliebt. Wer schon einmal in den Felsregionen der Alpen, des Hochaltai oder der Rocky Mountains gejagt hat, schreit förmlich nach einer leichten „Mountain Rifle“. Ich bevorzuge inzwischen auch leichte Büchsen im heimischen Revier, obwohl dort sicherlich auch ein schwerer Repetierer kein Problem ist. Aber ein Leichtgewicht mit schnittigem Design zieht einfach an. Führigkeit ist gerade in engen Kanzeln von großem Vorteil.
Da stach mir der von Roland Kessler in Deggendorf gebaute Repetierer „die Kesslerin“ geradezu in die Augen. Eine derartig leichte und führige Büchse auf Basis des Mauser 98er Systems hatte ich bisher noch nicht in der Hand. Als die Testwaffe kam, erfüllte sie meine Erwartungen voll. Graziöse Linienführung, ansprechendes Äußeres und leichtes Gewicht überzeugten auf den ersten Blick. Die Büchse hatte gar nichts gemeinsam mit einem groben Repetierer auf Basis eines Militärsystems.
Die „Kesslerin“
Der Repetierer basiert auf einem von den „Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Berlin" gefertigten nummerngleichen Mauser 98er Standardsystem. Bekannt ist es für seine hohe Zuverlässigkeit durch den langen, nichtrotierenden Auszieher, der die Patronen ab Aufnahme aus dem Magazin kontrolliert führt. Selbst „festgefressene“ Hülsen zieht er meist anstandslos aus. Das System ist sehr schmutzunempfindlich. Große Gasfreiräume in der Kammer und Gasschild am Schlösschen sorgen für Schützensicherheit. Die Kammer wird mit zwei Warzen im Hülsenkopf verriegelt. Eine dritte Warze im Hülsenbrückenbereich dient als zusätzliche Sicherungswarze. Die Hülse weist das originale Daumenloch auf. Der seitliche Kammerhalter dient gleichzeitig als manueller Auswerfer, der über die geschlitzte linke Warze in den Stoßboden greift. Er ist an Zuverlässigkeit nicht überbietbar, erfordert aber ein Zurückziehen der Kammer bis zum Anschlag. Der Vorsprung am Kammerhalter wurde abgefräst. Trotzdem lässt sich die Kammer bequem entriegeln.
Am Schlösschen wurde eine Zweistellungssicherung angebracht. Sie arbeitet mit 60-Grad-Winkel und ließ sich geräuschlos bedienen. Es wird in gesicherter Stellung die Kammer blockiert und der Schlagbolzen direkt festgelegt. Auf Wunsch kann ein anderes, flaches Schlösschen mit horizontaler Dreistellungssicherung nach Art Winchester 70 gewählt werden.
Der Magazinkasten wurde gekürzt und wie ein Schweizer Käse mit Löchern skelettiert. Der Zubringer wurde so gestaltet, dass sich die Kammer ohne dessen manuelles Niederdrücken schließen lässt. Das drei Patronen fassende Magazin kann mittels Klappdeckel (Öffner im Abzugsbügel) entladen werden. Die starke Hülse wurde durch Abtragen von Material im Hülsenkopf verjüngt. Anstatt üblicher 35,8 mm misst der Hülsenkopf an der „Kesslerin“ nur 32,6 mm im Durchmesser. Auch an der seitlichen Hülsenwandung wurde teilweise etwas Material abgefräst.
Auf den Abzug kommt es an
Um den schlanken Schaft zu ermöglichen, musste Kessler sich ein völlig neues Abzugssystem einfallen lassen. Ein Teil des patentierten Abzugs wurde dazu am Abzugsblech montiert. Es handelt sich um den federbelasteten Abzug mit Züngel, der oben mit V-förmigem Rastgriff ausgearbeitet wurde.
Der Weg wird mit justierbaren Stiften begrenzt. An der Hülse befindet sich ein beweglicher und federbelasteter Abzugsstollen. Der Rastteil greift in den Stollen ein und liegt im gespannten Zustand hinten auf einer schrägen Fläche auf. Wird der Abzug gezogen, wird der bewegliche Stollen freigegeben, gleitet nach unten und gibt über die Schlagbolzenmutter den Schlagstift frei. Der neue Abzug ist mit 2,47 cm Bauhöhe über dem Abzugsblech wirklich niedrig. Er ist simpel, aber man muss eben erst mal darauf kommen. Der Abzug stand sehr trocken und löste bei 800 g (8 N) Widerstand aus. Laut Kessler sind 400 oder 600 Gramm Widerstand ebenfalls realisierbar. Wegen der sehr guten Abzugscharakteristik sind meines Erachtens niedrigere Widerstände als 800 Gramm nicht nötig.
In den Hülsenkopf wurde ein kaltgehämmerter, 55 cm langer Stufenlauf von Heym geschraubt. Die erste Stufe (28,2 mm Durchmesser) ist nur 5,5 mm und die zweite Stufe (24,5 mm Durchmesser) 42 mm lang und zylindrisch. Danach verjüngt sich der Lauf bis zum Mündungsdurchmesser von 16,2 mm. Hier ging Kessler anscheinend den sicheren Weg und wählte wegen hoher Schussleistung eine etwas stärkere Laufkontur. Mittlerweile wurde der Heym-Stufenlauf auf Grund der besseren Optik durch einen sich nach vorne verjüngenden Lauf ersetzt.
Man könnte durch dünneren Lauf aber noch etliche Gramm an Gewicht einsparen. Hochwertige dünne Läufe erbringen in der Regel ebenfalls eine hervorragende Präzision, sind aber oft wärmeempfindlich.
Mittels Laufring wurde 22 cm vor der Mündung der Riemenbügel befestigt. Dank dieses idealen Wertes lässt sich die Büchse sehr bequem tragen.
Die offene Visierung besteht aus einem nach vorne geneigten, quergeriffelten Kimmenblatt mit Rundausschnitt. Es ist im Schwalbenschwanz des Sattels seitlich verschiebbar. Als Kimme wurde ein 2,5 mm breites, orangefarbenes Balkenkorn gewählt, das mit Backen gehalten wird. Es sammelt Licht und bildet einen ausgezeichneten Kontrast. Dank weiten Kimmenausschnitts ist das Visier auch bei schlechten Lichtverhältnissen — etwa bei Nachsuchen in Dickungen — gut verwendbar. Es wurde bestens auf 50 m Fleck eingeschossen. Ein gutes Visier, das sich für den präzisen und flüchtigen Schuss auf Entfernungen bis rund 70 m eignet.
Beste Systembettung
Vorbildlich wurde auch die Systembettung gelöst. Das System wurde in den Schaft perfekt mit Kunstharz gebettet. Dabei wurde der Lauf bis kurz nach der zweiten Stufe mitgebettet. Weiterhin ist hinten eine Pilarbettung (Distanzröhrchen um Systemschraube) angebracht. Bei der vorderen Systemschraube ist dies nicht nötig, da praktisch der Gewindestollen auf dem Abzugsblech lagert. Der Schaft ist hier eben extrem schlank. Die Bettung wurde so gut ausgeführt, dass es nach Herausnahme des Systems mit Lauf keine Setzschüsse gab. Die sehr hohe und vor allem extrem konstante Schussleistung ist wohl auch nur mit solch einer exakten Bettung erreichbar. Da der Abzugsmechanismus zweigeteilt ist, ist die hintere Pilarbettung unbedingt erforderlich, da die Rastgriffe exakt sitzen müssen und dies durch Zusammenführen von Hülse und Abzugsblech geschieht. Keinesfalls darf sich die Systemschraube lockern, da sich das Schloss ansonsten nicht mehr spannen ließe, beziehungsweise es auslöst. Passarbeit und dauerhafte Festigkeit müssen hier stimmen. Ich würde Roland Kessler empfehlen, die Systemschrauben durch Sicherungsschrauben gegen unbeabsichtigtes Lockern zu sichern. Bei einer seit Jahren im Einsatz befindlichen „Probewaffe“ gab es diesbezüglich bisher noch keine Probleme.
Handschäftung
Der Ölschaft aus gut gemasertem Nussbaum ist an Schlankheit kaum zu überbieten. Der schlanke Hinterschaft mit leichtem Schweinsrücken weist eine Bayerische Backe mit zwei Falzen auf und schließt nach schwarzer Zwischenlage mit Gummikappe im Old English Stil ab. Der Pistolengriff mit Edelholzkäppchen weist rechtsseitig eine leichte Aufbauchung auf, die den Handhohlraum perfekt ausfüllt. Er ist nicht zu steil und mein mittellanger Abzugsfinger erreicht das Züngel in idealer Weise. Der schlanke Vorderschaft verjüngt sich nach vorne gewaltig. Mit elegantem Edelholz mit Tropfnase schließt er ab.
An Pistolengriff und Vorderschaft wurde sauber eine scharfe, mittelfeine Fischhaut geschnitten. Eine Querbolzenverschraubung im Rückstoßstollenbereich soll Schaftbruch vorbeugen. Elegant wurde der Übergang von sehr schlankem Pistolengriff in den Systembereich gelöst. Nach Auslaufen des Pistolengriffs verdickt sich der Schaft mit Backen im Bereich der Hülse.
Es sei hier angemerkt, dass nur längsgemasertes Holz wegen hoher Bruchsicherheit verwendet wird. Wurzelmaserholz mit geflammter Maserung kann bei diesem schlanken Schaft nicht verwendet werden. Probleme mit Schaftbrüchen gab es bisher noch nicht, selbst bei Gebirgsjägern, die die Waffe bereits jahrelang im Einsatz führten und erprobten.
Vermisst habe ich eine formschöne Abschrägung des Schaftes im Bereich des Hülsenfensters. Da es sich um eine Handschäftung handelt, können kundenspezifische Wünsche jederzeit erfüllt werden.
Auf der Waffe wurde mittels MAKSchwenkmontage ein Swarovski Habicht AV 3 — 10 x 42 montiert. Beides bewährte sich in der Praxis bestens. Das leichte Zielfernrohr mit brillanter Optik und Absehen in 2. Bildebene ist ideal für weite Schüsse. Ganz besonders für die Gebirgsjagd.
Ich schätze es auch im Rehwildrevier. Nach Ab- und Aufsetzen des Zielfernrohres blieb die Treffpunktlage gleich. Übrigens wurde das Zielfernrohr extrem niedrig montiert.
In der Zwischenzeit wurde die Kessler-Flachmontage entwickelt; sie ist zweigeteilt. Der Vorderteil ist aus einem Stück gefertigt, sowohl Vorder- als auch Hinterteil weisen keine Schrauben auf. Auf die Kessler-Flachmontage werden erstaunliche 10 Jahre Garantie gegeben!
Handhabung und Schussleistung
Die Büchse wurde mit verschiedenen Patronen Probe geschossen. Dabei fiel auf, dass das Warmschussverhalten erstklassig war. Eine Differenz zwischen Schussbildern aus kaltem und warmem Lauf konnte praktisch nicht festgestellt werden. Weiterhin fiel die sehr hohe Konstantheit in der Schussleistung auf. Vier Schussbilder mit je 5 Schuss mit derselben Laborierung erbrachten nur wenige Millimeter Differenz. Mit vielen Laborierungen konnte ich Streukreise von knapp unter 3 cm bei 5 Schuss auf 100 m erzielen. Als letzte Laborierung griff ich noch zur RWS-Patrone mit 11,7 Gramm TUG. Fünf Schuss hintereinander erbrachten einen Streukreis von fast unglaublichen 1,9 cm. Wie weitere Schussbilder zeigten, kein Zufall. Mit dieser Laborierung lagen die Treffer immer unter 25 mm beisammen. Die leichte Büchse schießt also ganz ausgezeichnet.
Es fiel das deutliche Springen der Waffe auf. Sie liegt im Schuss eben nicht wie ein Brett oder eine Varmintbüchse. Trotz korrekten Augenabstands von 9 cm hafte ich keinerlei Probleme. Das Okular kam nie in Augennähe und auch die Schulter wurde nicht blau. Die Waffe ließ sich problemlos schießen, auch ohne sie übermäßig stark einzuziehen. Ein gerader Schaftrücken wäre aber viel idealer für den Schuss über das Zielfernrohr und würde auch das „Laufspringen“ mindern. Wahlweise sollte ein Schaft mit geradem Rücken erhältlich sein. Um Gewicht zu sparen, könnte man bei diesem auf eine (Monte Carlo) Backe verzichten. Sie ist sowieso nur fürs Auge da. Obwohl ich weiß, dass sich bei uns nur Repetierer mit offener Visierung verkaufen, würde ich auf eine solche verzichten. Die wenigsten Jäger nützen sie. Ich machte die Erfahrung, dass bei Nachsuchen in Dickungen oder Wald eine Kurzwaffe oft besser einsetzbar ist und in aller Regel reicht. Wird dabei die Büchse benutzt, dann kann auch mit variablem Zielfernrohr geschossen werden.
Sicherlich könnte man noch ein paar Gramm Gewicht durch Aluminiumbodenplatte, Kannelierungen bei Kammer und Hülse sparen. Wer will, kann einen noch schlankeren (eventuell von Shilen) und kürzeren Lauf wählen. Hier wäre eine weitere Gewichtsreduzierung möglich, falls das der eine oder andere Jäger wünscht.
Auch mit einer Festmontage ließen sich noch einige Gramm einsparen. Doch mit einem Gewicht von 3 kg und 110 cm Gesamtlänge liegt Roland Kessler gerade richtig. Schließlich sind das rund 600 bis 800 Gramm weniger als andere Jagdrepetierer mit Mauser 98er System auf die Waage bringen. Die Waffe fühlt sich subjektiv viel leichter an, als sie es tatsächlich ist. Drei Kilogramm lassen sich auch im schwierigen Gelände wie dem Hochgebirge noch ausgezeichnet tragen.
Das Führen bereitet keinerlei Probleme und auf der anderen Seite lässt sich die Büchse noch anstandslos, hochpräzise schießen.
Die Waffe wurde sehr gut verarbeitet. Die Metall-/Holzpassungen führte Kess1er sehr penibel aus. Alle Metallteile wurden glatt poliert und bestens tiefschwarz brüniert. Die Kammer beließ man hell. Auch die Verschlussbahnen polierte man gut, sodass die Kammer gut gleiten kann. Ein schnelles Repetieren ist möglich. Der Schaft wurde glatt poliert und fehlerlos geölt.
Es störte die 60-Grad-Sicherung, die fast am Okularkonus des Zielfernrohrs anliegt. Sie ist keinesfalls handhabungsfreundlich. Mit Handschuhen ist sie außerdem nicht bedienbar. Man sollte bei niedrig montiertem Zielfernrohr immer die horizontale Dreistellungssicherung wählen.
Sehr formschön wurde der große Abzugsbügel gestaltet — weitab vom groben militärischen Stil. Weiterhin konnte nicht gefallen, dass der gerade Abzugsstängel mit großer Kugel zu nahe am Schaft anlag. Das sieht zwar gut aus, ist aber einem schnellen, festen Griff abträglich. Er sollte wesentlich weiter abstehen. Abnehmbare Riemenbügel dagegen lassen sich einfach durch Nachbohren der Riemenbügelösen befestigen.
Der vorliegende Repetierer zeichnet sich durch hohen Praxisbezug aus. Er strahlt dabei aber noch Eleganz, oder wenn man es so will, Schönheit aus. Bei ihm wurde Führigkeit verwirklicht, von der viele andere Hersteller nur sprechen.
TEXT UND BERICHT VON ROLAND ZEITLER