Pirsch 15/2013

Autor: Reiner Mertens

 

98er für Linksschützen

 

Alles spiegelverkehrt

 

Der Deggendorfer Büchsenmachermeister Roland Kessler fertigt 98er Pirschbüchsen – auch mit neuen Links- und Kurzsystemen. Solch eine „Classic Neu“ nahmen wir vor ihrer Kundenauslieferung unter die Lupe.

 

Pirschjäger bevorzugen leichte, führige Büchsen, deren Gewicht auch im schwierigen Gelände oder beim stundenlangen Tragen nicht zur Last wird. Büchsenmachermeister Roland Kessler in Deggendorf baut seit Jahren eine 98er Pirschbüchse „Kesslerin“, die knapp 3,2 Kilogramm wiegt und durch ein superschlankes Äußeres überrascht; inzwischen gibt es sie mit neuem System (PIRSCH 2/ 2003, 5/ 2008). Solch eine „Classic Neu“ mit Links-Kurzsystem, das für die Patrone .243 Win. geradezu maßgeschneidert wirkt (es misst zwischen den Hülsenbrücken nur 70 mm), fanden wir bei einem Besuch der Deggendorfer Manufaktur vor. Kessler hält sich bei „seinem 98er“ weitgehend an das Originalsystem, nur wurden die Dimensionen erheblich verringert. Das macht sich nicht nur bei den Abmessungen, sondern auch beim Gewicht erheblich bemerkbar. Die Höhe des Magazinkastens wurde durch die Beschränkung auf drei Patronen fast halbiert. Besonders im Bereich des Magazinkastens ist die Kesslerin daher extrem schlank. Bei der Neufertigung gibt es kein überflüssiges Daumenloch. Die Hülsenbrücken wurden als Double-Square-Bridge aus dem vollen Material herausgearbeitet, was eine sehr elegante und zudem stabile Schwenkmontage ermöglicht.

 

Fantastischer Abzug

 

Kammerstängel, Auszieher, Schlosshalter und Auswerfer liegen jeweils auf der anderen Systemseite. Auch die horizontal arbeitende Drei-Stellungs-Sicherung am flachen Schlösschen ist auf der linken Seite angebracht. Das System läuft seidenweich und lässt sich fließend repetieren. Kessler gilt Kennern nicht ohne Grund als Abzug-Spezialist (PIRSCH 8/ 2009, 11/2010). Bei
der Testwaffe war der brillant brechende Direktabzug auf 550 Gramm Widerstand justiert.
Der 51-cm-Lauf macht die Kurzsystem- Büchse noch führiger. Der Lauf stammt von Lothar Walther und wird nach Kesslers Vorgaben gefertigt (Mündungs-Ø 15,5 mm). Wohl wäre ein schlankerer
Lauf möglich, aber zu dünne Läufe schießen bekanntlich nicht sehr präzise. Kessler macht da keine falschen „Kompromisse“.

 

Schlanker Schaft

 

Alle Metallteile sind sehr gut poliert und tiefschwarz brüniert. Die Waffe spiegelt wie ein schwarzer Diamant: Wer handwerkliche Arbeit einschätzen kann, weiß, wie viele Arbeitsstunden hier investiert wurden. Blickfang ist der schlanke, schnittige Maßschaft – selbstredend in Linksausführung. Um den Übergang vom filigranen Pistolengriff in den wesentlich breiteren Systembereich optisch zu überbrücken, verdickt sich der Schaft mit formschönen Backen im Bereich der hinteren Hülsenbrücke. Die Fischhaut an der Testwaffe ist fehlerfrei. Der Schaft besteht aus honiggelbem, reich gemasertem Nussbaumholz, ist aufwendig mit Trueoil auf Hochglanz gebracht. Trotz der schlanken Schäftung liegt die Kesslerin sehr gut im Anschlag, auch „ausgewachsene Männer“ können mit dieser zierlichen Büchse gut und sicher umgehen. Die Testwaffe war nach Kundenwunsch mit einem Kahles KX i 3,5 - 10 x 50 bestückt. Ein 50er Glas ist mit schlanken Waffenkonturen gerade noch vereinbar. Kessler verwendet hier die Eramatic-Drehringmontage. Beim Schießen zeigte sich auch nach wiederholtem Abkreis nehmen und Aufsetzen des Zielglases keine Treffpunktlage-Veränderung. Die Büchse in .243 Win. wurde auf einem Preuß’schen Schießgestell geschossen. Ein Schussbild mit der RWS-Laborierung 6,2 g KS ergab einen Fünfer-Streu-Abkreis von 2,4 cm/ 100 m. Die Remington
Power Lokt 5,2 g lag mit 2,8 cm/ 100 m geringfügig schlechter.

 

Resümee


Die vorgestellte Büchse von Kessler ist konsequent für Linkshänder ausgelegt. Eine ideale Begleiterin für lange Pirschgänge, bei denen eine leichte Büchse von Vorteil ist, aber etwas mehr
Feuerkraft gewünscht wird, als eine Kipplauf- oder Blockbüchse bietet. Das neu gefertigte System in Kurzbauweise kombiniert die Sicherheit des 98ers mit den Vorteilen moderner Materialien und hochpräziser Fertigungsmethoden. Es klappert nichts mehr. Dazu ein Abzug, der selbst Kenner wohlwollend nicken lässt. Der hohe Anteil an Büchsenmacherarbeit und das neu gefertigte Links-System samt Magazinkasten schlagen sich im Preis nieder und so müssen für die „linke“ Kurz-Kesslerin 13 900 Euro auf den Tisch gelegt werden. Dafür erhält der Käufer ein Stück bester Büchsenmacherarbeit und – da jede Büchse nach Kundenabsprache gefertigt wird – auch
ein Stück Individualität.