Individuelle Schäftung


Wer jetzt einen klassischen Mannlicher-Stutzenschaft erwartet hat, wird enttäuscht. Roland Kessler wählte eine Form, die vom Mannlicher-Stil abweicht und die Individualität seiner Büchse unterstreicht.

 

Der Hinterschaft hat einen leichten Schweinsrücken und eine bayerische Backe mit Doppelfalz. Der Pistolengriff mit Edelholzabschluss fällt steil aus und hat eine handfüllende Verdickung an der rechten Seite. Der schlanke Vorderschaft wird ebenfalls mit einer Nase aus Edelholz abgeschlossen und hat auf halber Länge eine „Krawatte“, wie sie bei frühen Mauser-Stutzen üblich war. Vorderschaft und Pistolengriff sind mit fein geschnittener Fischhaut griffig gemacht. Das lässt Kessler außer Haus machen, während die Handschäftung in eigener Werkstatt erfolgt.

 

Der vordere Riemenbügel ist in klassischer Stutzen-Manier in U-Form am Vorderschaft befestigt. Eine Querstollenverschraubung sorgt für die gleichmäßige Übertragung der Rückstoßkräfte auf den Schaft.

 

Jede Büchse von Roland Kessler entsteht auf Kundenwunsch, und wer keine bayerische Backe an „seinem“ Mannlicher haben will, bekommt natürlich auch einen typischen Schönauer-Schaft. Dieser Stutzen ist die eleganteste Repetierbüchse, die ich bisher gesehen habe – noch zierlicher als das Original, erstklassig verarbeitet und mit einem tollen Abzug. Die technischen Details des alten Mannlichers, auf die Kenner so großen Wert legen, blieben erhalten – eine extrem führige Pirschbüchse in dezenter, aber edler Aufmachung.

 

Noch ein Abzug


Die dritte klassische Büchse, der sich Roland Kessler zuwendet, ist die Mauser 66. Dieser Repetierer war zu seiner Zeit eine sensationelle Neuheit und hat heute Kultstatus. Fast 70 000 Stück von dem handlichen Repetierer mit Teleskopverschluss und Wechsellaufmöglichkeit fertigte Mauser. Der größte Teil dieser hochwertig verarbeiteten Waffen ist heute noch im Einsatz – zur vollen Zufriedenheit ihrer Besitzer. Zumindest fast, denn eine Kleinigkeit stört viele 66-Fans – der Abzug. Bis auf wenige Ausnahmen wurde die Mauser 66 mit dem Deutschen Doppelzüngelstecher ausgeliefert, für die 70er-Jahre der klassische Abzug des deutschen Waidmanns.

 

Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieser Abzug alles andere als optimal ist, ja ein echtes Sicherheitsrisiko darstellt.

 

Ungestochen ist der Abzug viel zu hart für präzise Schüsse – und bei Drückjagden zum schnellen Folgeschuss erst noch den hinteren Stecher zu bedienen, ist kaum praxisgerecht.

 

Daher bleibt die Mauser 66 oft im Waffenschrank, wenn Drückjagd oder etwa Schießkino angesagt ist. Roland Kessler konstruierte einen Direktabzug für die Mauser 66, der diese Probleme beseitigt.

 

Durch den kurz bauenden Teleskopverschluss liegt bei der Mauser 66 das Magazin unterm Verschluss – und darunter liegt der Abzug. Der Platz reicht hier nicht aus, um herkömmliche Abzüge einzubauen. Technisch wäre das auch unmöglich, denn der Abzug muss ja seitlich neben dem Magazin nach oben wirken.

 

Mauser löste das seinerzeit mit einer unterm Magazinkasten verlaufenden Wippe, die ein seitliches Übertragungsstück bedient – lange Wege und kompliziert, was sich im schlechten Abzugsverhalten des ungestochenen Originalabzuges widerspiegelt. Ein Stecher war dabei schon notwendig, um zumindest über diese „Krücke“ zu einem brauchbaren Abzugsgewicht zu kommen.

 

Roland Kessler benutzt zwar auch eine Wippe, verwendet dazu aber einen aus wenigen Teilen bestehenden und direkt wirkenden Abzug, der so flach baut, dass er unter den Magazinkasten passt. Abzugsgewicht und -weg lassen sich über Stellschrauben präzise einstellen.

 

Der Abzug hat Matchqualität, er lässt sich auf 600 g einstellen und ist völlig sicher – selbst Schläge mit dem Gummihammer aufs hintere Ende des Systems beeindrucken ihn nicht. Das Abzugsgewicht zu erhöhen, ist kein Problem – und bei Großwildbüchsen oder Drückjagdwaffen sogar angebracht. Roland Kessler stellt das gewünschte Abzugsgewicht ein. Das Geheimnis dieses Abzugs liegt in der richtigen Winkelstellung. Daher muss auch die Waffe nach Deggendorf geschickt werden, wenn der Abzug gewechselt werden soll – hier ist Büchsenmacher-handwerk gefragt, auch ein Stabilisierungsblech wird noch unten am Magazinkasten angelötet. Der Abzugsbügel muss etwas umgearbeitet werden, denn im Original hat er zwei kleine Durchbrüche für die beiden Züngel des Stechers. Jetzt wird nur noch ein etwas größerer Durchlass benötigt. Mit Kesslers Direktabzug wertet man eine altbewährte Mauser 66 stark auf – und macht die Legende damit fast schon modern. Sie ist so voll drückjagdtauglich – im Vergleich zum Deutschen Stecher ist das Abzugsverhalten um Klassen besser. Heute besteht die Firma Kessler aus einem angehendem jungen Büchsenmachermeister, einem Schäfter, sowie Ehefrau Ingrid und Tochter Diana. Roland Kesslers neuestes Projekt ist eine superleichte Großwildbüchse mit 4-Schuss-Magazin im Kaliber .375 Holland & Holland Magnum, die ganze 3,45 kg wiegt.

 

Gravuren im eigenen Haus

 

Um Büchsen zu veredeln, muss Roland Kessler sie nicht unbedingt weggeben: Seine Tochter Katharina ist gelernte Graveurin – und graviert natürlich die Büchsen ihres Vaters gern. Was von ihr bisher zu sehen war, ist sehr vielversprechend und sie hat sich jetzt nahe dem Ladengeschäft in Deggendorf eine kleine, eigene Graveurwerkstatt eingerichtet. Sie graviert sehr filigran und zierlich, der Trend zu Eleganz und Stil liegt anscheinend im Blut. Auch die Kesslerin ist schließlich eher eine hochelegante Dame als ein üppiges Weib …

 

Jagdpraxis, Ausgabe 02-2013

 

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