Schlanke Schönheit


DIE KESSLERIN IST EINE SEHR SCHLANKE BÜCHSE. DIE TESTWAFFE WAR MIT EINEM ZEISS VICTORY 2,5-10X50 AUSGESTATTET.

Das beliebte 98er-System wird für solche Büchsen kaum eingesetzt, denn es hat von Hause aus zu viel Gewicht, und das hoch bauende Abzugssystem lässt keine schnittigen Schäfte zu. Der Büchsenmacher Roland Kessler aus Deggendorf hat diese Probleme beseitigt und baut seit Jahren eine Pirschbüchse mit 98er-System, die knapp 3,2 Kilogramm wiegt und durch eine sehr schlanke Optik überrascht. Bisher wurden alte DWM-Militärsysteme mühevoll abgedreht, überarbeitet und auf die schlanke Kontur gebracht. Die neue Kesslerin kommt jetzt mit einem komplett neu gefertigten 98er-System.


In zwei Jahren Entwicklungszeit hat Roland Kessler in Zusammenarbeit mit einem CNC-Fertigungsbetrieb das alte Mausersystem auf die neuen Dimensionen gebracht. Hat der Hülsenkopf bei einem Originalsystem einen Durchmesser von 38,5 Millimetern, so misst die Kesslerin hier nur 32,5 Millimeter. Das macht sich nicht nur bei den Abmessungen, sondern auch beim Gewicht erheblich bemerkbar.

 

Die Höhe des Magazinkastens wurde durch die Beschränkung auf drei Patronen fast halbiert. Besonders im Bereich des Magazinkastens ist die Kesslerin daher extrem schlank. Der Abstand von der Oberkante der vorderen Hülsenbrücke bis zur Schaftunterseite misst trotz Square Bridge lediglich 55 Millimeter. Um auch beim Magazin noch Gewicht zu sparen, ist der im Schaft liegende Magazinkasten skelettiert. Ein Klappdeckel ermöglicht das Entladen nach unten. Der Drücker für den Magazindeckel sitzt vorn im Abzugsbügel.

 

Bei einer Neufertigung können natürlich auch gleich die für Jagdbüchsen unerwünschten Elemente des alten Militärsystems eliminiert werden. So gibt es natürlich kein Daumenloch, und die Hülsenbrücken wurden als Double Square Bridge aus dem vollen Material herausgearbeitet. Das ermöglicht eine sehr elegante Zielfernrohrmontage.

 

Das Prismenstück für die Hinterfußverriegelung fräst Roland Kessler direkt aus der hinteren Hülsenbrücke und der Drehring für den Vorderfuß wird einfach von oben in die vordere Brücke eingelassen und verschraubt. So muss nichts aufgelötet werden und alles wirkt wie aus einem Guss. Der lange Mauserauszieher und der Hülsenauswerfer in der hinteren Hülsenbrücke sind wie beim Original, und auch der Kammerhalter sitzt an gewohnter Stelle. Der Kammerstängel fällt im Verhältnis zum zierlichen Verschluss recht lang aus, was aber für eine sichere Handhabung erforderlich ist. Die 21,5 Millimeter dicke Kammerkugel liegt satt in der Hand.

Das flache Schlösschen ist mit einer horizontal arbeitenden Dreistellungssicherung mit Verriegelung ausgestattet. Um den Sicherungsflügel aus der hintersten Position zu bewegen, muss erst die Drucktaste seitlich am Schlösschen betätigt werden. So wird ein unbeabsichtigtes Entsichern - eine bekannte Schwachstelle vieler horizontal arbeitenden 98er-Siche-rungen - sicher vermieden. Das System läuft seidenweich und lässt sich fließend repetieren. Gegenüber den alten Militärsystemen eine spürbare Verbesserung.

 

Perfekter Abzug

Einen der herkömmlichen Abzüge für 98er-Systeme kann Roland Kessler hier natürlich nicht benutzen, dazu reicht der durch den kleinen Magazinkasten beschränkte Platz nicht aus. Der von Kessler speziell für dieses System konstruierte Direktabzug lässt sich von 600 bis 1200 Gramm individuell einstellen und löst trocken und ohne spürbaren Weg aus. Einstellbar sind Vorzug, Abzugswiderstand und Triggerstopp. Ein Stecher ist hier wirklich überflüssig. Bei der Testwaffe stand der Abzug sogar auf nur 550 Gramm Gewicht. Das Abzugszüngel sitzt ganz hinten im Abzugsbügel und so ist eine Menge Platz vorhanden, um auch mit Handschuhen noch sicher abziehen zu können.

 

Die Lauflänge von 55 Zentimetern ist ein guter Kompromiss zwischen Führigkeit und Ausnutzung der Patronenleistung. Die Büchse kommt damit auf eine Gesamtlänge von 110 Zentimetern. Der Lauf stammt von Lothar Walther und wird dort nach speziellen Vorgaben von Roland Kessler gefertigt. Er hat einen Mündungsdurchmesser von 15 Millimetern. Sicher wäre ein schlankerer Lauf möglich und würde auch noch Gewicht sparen, aber zu dünne Läufe schießen bekanntlich nicht sehr präzise. Hier macht Kessler keine Kompromisse, denn ohne eine gute Präzision ist die eleganteste Waffe nichts wert.

 

Der vordere Riemenbügel wird mit einem Ring über den Lauf gezogen und hat einen Abstand zur Mündung von 22,5 Zentimetern. Damit sitzt er optimal, um die Waffe gut ausbalanciert am Gewehrriemen zu tragen. Der hintere Riemenbügel wird mit zwei Schrauben in das Holz des Hinterschaftes verschraubt. Damit ist er gegen Verdrehen gesichert.

 

Ausgesuchte Hölzer

Im Vergleich zu einer Büchse mit normalem 98er Standardsystem wird erst deutlich, wie schlank die Kesslerin ist.

 

 

 

 

 

 

Blickfang der Kesslerin ist der schlanke, schnittige Schaft mit geradem Rücken und Deutscher Backe. Der Vorderschaft verjüngt sich stark nach vorn und endet in einer Schaftnase aus Büffelhorn. Auch das flache Pistolengriffkäppchen besteht aus poliertem Hörn. Der Pistolengriff ist flach gehalten und betont noch die gestreckte Linie der eleganten Büchse. Um den Übergang vom filigranen Pistolengriff in den wesentlich breiteren Systembereich optisch gut zu überbrücken, verdickt sich der Schaft mit formschönen Backen im Bereich der hinteren Hülsenbrücke, wie sie an den alten Mauser-Repetierern oft zu finden waren.

 

Vorderschaft und Pistolengriff sind mit feiner Fischhaut verschnitten. Das lässt Kessler außer Haus machen, während die Handschäftung in eigener Werkstatt erfolgt. Die Fischhaut an der Testwaffe ist fehlerfrei und hält auch einer Betrachtung unter der Lupe stand. Abgeschlossen wird der Schaft mit einer dünnen, roten Gummikappe.


Die Holz- und Metallpassung der Testwaffe war sorgsam ausgeführt und eine Systembettung mit Kunstharz sorgt für den exakten Systemsitz. Eine Querstollenverschraubung mit hübsch gravierten und grau gebeizten Deckschrauben sorgt für eine günstige Übertragung der Rückstoßkräfte.

 

Der Schaft der Testwaffe besteht aus honiggelbem, reich gemasertem Nussbaumholz, ist aufwändig poliert und mit Trueoil auf Hochglanz gebracht. Roland Kessler hat ständig ein Dutzend erstklassiger Schafthölzer in seiner Werkstatt, und der Kunde kann sich sein Holz aussuchen. Die Kesslerin entsteht in Einzelanfertigung genau nach Kundenwünschen, und die Details werden vom Kunden bestimmt. Eine Fahrt nach Deggendorf lohnt sich also, um ein Holz genau nach eigenem Geschmack zu finden.

 

Offene Visierung

Als offene Visierung besitzt die Büchse ein Standvisier mit hoch gezogenen Seiten und 2,2 Millimeter breiter Rechteckkimme, sowie ein dazu passendes Balkenkorn mit Messingsauflage. Damit lässt sich sowohl ein präziser Schuss auf größere Distanz abgeben, wie auch ein schneller Fangschuss auf kurze Entfernung.


In die vordere Hülsenbüchse ist der Drehring für die ZF-Montage eingesetzt.

 

 

 

 

Die Kimme ist seitlich in den Schwalbenschwanz des Laufsockels eingeschoben, der genau wie der Kornträger aufgelötet ist. Das Kimmenblatt ist in der Mitte mattiert - während die Umrandung poliert wurde. Dies sieht sehr edel aus, ist aber beim Visieren im Anschlag nicht zu erkennen.

 

Durch die geringe Bauhöhe ist ein flach bauender Abzug notwendig.

 

 

 

 

 

Alle Metallteile sind sehr gut poliert und tiefschwarz brüniert. Die Waffe spiegelt wie ein schwarzer Diamant. Für den Waffenliebhaber ein toller Anblick, und wer handwerkliche Arbeit einschätzen kann, weiß wie viele Arbeitssunden hier investiert wurden. In der Praxis kann eine solche Oberfläche aber auch zu Problemen führen, weil sie leicht Lichtreflexe auslöst. Bei einer Jagd in heißen Ländern würde ich zumindest die Stellen vor der offenen Visierung mit mattem Tesafilm abkleben, um dies auszuschließen.

 

Das Kimmenblatt ist mittig mattiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Regel wird eine Büchse dieser Art aber fast ausschließlich über das Zielfernrohr geschossen. Die Testwaffe war mit einem Zeiss-Zielfernrohr 2,5-10x50 mit Leuchtabsehen ausgestattet. Von den Dimensionen her verträgt sich das kompakte Zeiss noch ganz gut mit der schlanken Waffe und bietet durch den 50-Millimeter-Objektivdurchmesser ausreichend Lichtreserven für alle Gelegenheiten.
Die Oberteile der Zielfernrohrmontage stammen von Recknagel. Kessler verwendet hier die Eramatic-Drehringmontage. Beim Testschießen zeigten sich auch nach wiederholtem Abnehmen und Aufsetzen des Zielfernrohres keine Veränderungen in der Treffpunktlage.


Das Balkenkorn mit Messingauflage ist seitlich in den Kornträger eingeschoben.

 

 

 

Das System ist im Kunststoff gebettet.

 

 

 

 

Auf dem Schießstand

Trotz der schlanken Schäftung liegt die Kesslerin sehr gut im Anschlag, und auch „ausgewachsene Männer" können mit dieser zierlichen Büchse gut und sicher umgehen. Die Testwaffe war für das Kaliber 8x57 IS eingerichtet. Die Büchse wurde auf die Standardprüfentfernung von 100 Meter unter Verwendung eines Preuß' sehen Schießgestelles geschossen.

 

Schussbild von 1,8 Zentimetern bei fünf Schüssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Schussbild mit der Geco-Laborierung (12,7 g Teilmantel-Rundkopf) ergab einen Streukreis von 1,8 Zentimeter bei fünf abgegebenen Schüssen. Eine bemerkenswert gute Schussleistung für den kleinen 98er.

 

Resümee


Die vorgestellte Pirschbüchse von Roland Kessler sieht nicht nur elegant und schnittig aus, sondern sie ist auch sehr präzise und dazu praxisgerecht ausgestattet: eine ideale Begleiterin für lange Pirschgänge, bei denen eine leichte Büchse von Vorteil ist.


Das neu gefertigte Mausersystem mit dem langen Auszieher kombiniert die Sicherheit des 98ers mit den Vorteilen moderner Materialien und hochpräziser Fertigungsmethoden. Hier klappert nichts mehr, und die Kammer läuft wie auf Schienen ohne Ruckein und Haken. Dazu kommt ein Abzug, der auch verwöhnte Sportschützen tief Luft holen lässt. Drei Patronen im Magazin sind ausreichend und bieten genügend Feuerkraft für eine Jagdwaffe.

 

Der hohe Anteil an Büchsenmacherarbeit und das komplett neu gefertigte System samt Magazinkasten schlagen sich natürlich im Preis nieder, und so müssen für die Kesslerin 8450 Euro auf den Tisch gelegt werden. Dafür erhält der Käufer für sein Geld nicht nur eine praxisgerechte, präzise und wirklich schnittige Jagdwaffe, sondern auch ein Stück guter Büchsenmacherarbeit und, weil jede Büchse nach Kundenabsprache gefertigt wird, auch ein Stück Individualität.


TECHNIK AUF EINEN BLICK

HERSTELLER: Roland Kessler, Deggendorf
MODELL: Kessler Classik
KALIBER: Testwaffe 8x57 IS,
alle Standardkaliber erhältlich
VERSCHLUSS: neues 98er-System mit langem
Mauser-Auszieher
MAGAZIN: Kastenmagazin für 3 Patronen in
Zickzacklagerung, Klappdeckel
ABZUG: Direktabzug
ABZUGSWIEDERSTAND: 550 g (bis 1 200 g regulierbar)
SICHERUNG: seitliche Dreistellungssicherung
LAUF: Lothar Walther
LAUFLÄNGE: 55 cm
VISIERUNG: Standvisit mit Rechteck-Kimme,
Balkenkorn mit Messingauflage,
Visiersockel aufgelötet
RIEMENBÜGEL: vorderer mit Ring über den Lauf gezogen
SCHAFT: aus gutem Nussbaumholz mit Ölschliff,
gerader Schaftrücken und Deutsche Backe,
Fischhaut am Pistolengriff und Vorderschaft,
Gummischaftkappe
ZIELFERNROHR: Zeiss 2,5 - 10x50 mit Leuchtabsehen
MONTAGE: Eramatic Schwenkmontage
GEWICHT: ohne Zielfernrohr 3 250 g
mit Zielfernrohr 3 950 g
GESAMTLÄNGE: 110 cm
PREIS: 8450 EURO

VORTEILE:
• neu gefertigtes und gewichtsreduziertes 98er-System
• patentierter Abzug mit geringer Bauhöhe
• Drei-Schuss-Magazin mit Klappdeckel
• horizontale Dreistellungssicherung
• schnittige Handschaltung
• geringes Gewicht
• sehr gute Präzision

NACHTEILE:
• keine

Autor: Norbert Klups