Berg- und Pirschjäger bevorzugen leichte, führige Büchsen.

Schlanke Kipplaufbüchsen oder spezielle Repetierer sind hier die beste Wahl. Das beliebte 98er-System wird für solche Büchsen kaum eingesetzt, denn es hat von Haus aus zu viel Gewicht.

 

ABER ES GEHT DOCH !


Der Büchsenmacher Roland Kessler aus Deggendorf hat sich dem 98er-
System verschrieben und baut Pirschbüchsen mit diesem System, die weniger als drei Kilogramm wiegen und durch eine superschlanke Optik überraschen. Für den DWJ-Test stand eine Kessler-Superlight im Kaliber 6,5 x 57 zur Verfügung.

 

Die äußere Aufmachung

Blickfang der Kessler ist schlanke, schnittige Schaft mit leichtem Schweinsrücken bayerischer Backe mit zwei Falzen. Der Vorderschaft verjüngt sich stark nach vorn und endet in einer Tropfnase aus Edelholz. Der Pistolengriff mit rechtsseitiger Verdickung fällt gesprochen filigran aus, und zum Übergang zur Systemhülse verdickt sich der Schaft mit formschönen Backen. Besonders im Magazinbereich hat der Schaft eine, für eine Büchse mit 98er-System ungewöhnlich, geringe Bauhöhe. Als System wird aber keinesfalls eines der neu gefertigten Mini-Mauser-Systeme eingesetzt, sondern ein reguläres 98er-Militärsystem aus Berliner DWM-Fertigung aus dem Jahr 1909. Dass diese Schaftgestaltung nur mit einigen technischen Kunstgriffen möglich ist, wird jedem, der sich mit dem 98er-System auskennt, sofort klar. Als offene Visierung besitzt die Büchse ein Standvisier mit U-Kimme und ein dazu passendes Balkenkorn aus rotem Kunstststoff. Für diese schlanke Waffe fällt die Visierung für meinen Geschmack dabei schon etwas grob aus, Der Vorsprung am Kammerhalter wurde entfernt und die originale Flügelsicherung gegen eine horizontal arbeitende Zwei-Stellungs-Sicherung ausgetauscht, die eine niedrige Zielfernrohrmontage ermöglicht. Mittels EAW-Schwenkmontage wurde ein 3-10 X 42-Swarovski-Habicht-AV-Zielfernrohr montiert. Mehr an Optik sollte man dieser eleganten Büchse auf keinen Fall zumuten. Ein Zielfernrohr mit 36er-Objektivdurchmesser wäre hier noch harmonischer. Komplett mit Zielfernrohr bringt die Kessler bei einer Gesamtlänge von 109,5 Zentimetern lediglich 3350 Gramm auf die Waage, leichter kann man eine 98er-Jagdbüchse wohl kaum bauen.

 

Verschluss und Abzug

Das Mauser-System M 98 setzt von seiner Konstruktion her Maßstäbe hinsichtlich Sicherheit und Zuverlässigkeit, Durch die in großen Stückzahlen hergestellten Militärsysteme stehen auch heute noch genügend gute Verschlüsse für den Bau von Jagdbüchsen zur Verfügung, und viele Büchsenmacher verwenden dieses System immer noch gern. Jagdbüchsen mit 98er-System sind aber nie wirklich schlanke Waffen, auch wenn die ursprünglich von Mauser selbst gefertigten Pirschbüchsen schon sehr elegant waren. Der mit 35,8 Millimeter reichlich stark dimensionierte Hülsenkopf und das militärische Kastenmagazin für fünf Patronen verhindern aber wirkungsvoll eine schlanke und im Magazinbereich Schäftung. Nur mit einem Kürzen des Magazins ist es auch nicht getan, denn dann reicht der Platz für den Abzug nicht aus, und alle auf dem Markt vertretenen Nachrüstabzüge für das 98er-System sind natürlich für die Standardbauhöhe ausgelegt.


Roland Kessler musste also völlig neues Abzugsystem konstruieren, wenn er einen Repetierer mit schlankem Drei-Schuss-Magazin bauen Der zur Verfügung stehende Platz nach der Reduzierung der Magazinkapazität auf drei Patronen beträgt knapp 2,5 Zentimeter und das ist nicht gerade viel. Der neue, patentierte Kessler-Abzug ist daher zweigeteilt und ein Teil des Abzuges ist auf dem Abzugblech montiert. Die Konstruktion ist an sich ganz einfach und simpel, Es werden auch weitgehend modifizierte Originalteile des Militärabzuges verwendet. Die federbelastete, mit dem Abzugblech verbundene Abzugzunge ist mit einem Kreuzstück verbunden, das oben ein angearbeitetes V-förmiges Raststück aufweist, auf dem sich der Abzugstollen abstützt.

 

Die Kraft der Schlagfeder wird hier über die angeschrägte Schlagbolzenmutter und der Rast des Abzugstollen auf das Kreuzstück übertragen. Die so entstandenen günstigen Hebelverhältnisse machen einen Stecher oder Rückstecher, der sich bei dem noch verbliebenen Spielraum niemals unterbringen ließe, überflüssig. Bei wirklich trockener Abzugcharakteristik löste der Abzug der Testwaffe bei 900 Gramm aus. Ein erstklassiger Abzug, der aber sehr saubere Arbeit beim Einschäften verlangt. Die Systemlage muss bei diesem zweigeteilten Abzug unbedingt unveränderlich festgelegt sein, sonst kommt es zu Störungen, da die exakte Passung der Rastgriffe ja durch Zusammenführung von Hülse und Abzugblech erfolgt. Lockert sich die Systemschraube, so lässt sich das Schloss nicht mehr spannen, oder löst aus, wenn es gespannt war. Bei diesem Abzug wären Sicherungsschrauben für die Systemschrauben eine beruhigende Maßnahme und sicher kein großer Aufwand. Die Holz/Metall-passung der Testwaffe war sorgsam ausgeführt und eine Systembettung mit Kunstharz sorgt für den exakten Systemsitz. Der Magazinkasten wurde gekürzt und nimmt jetzt noch drei Patronen auf. Ein Klappdeckel ermöglicht das Entladen nach unten. Der Drücker für den Magazindeckel sitzt vorn im Abzugbügel. Magazinkasten und Klappdeckel sind aber keine Neuanfertigung, sondern diese Einrichtung besaß das Mauser-System 1909 schon von Haus aus. Der Magazinkasten wurde zur Gewichtserleichterung mit Bohrungen skelettiert. Die Nase am Kammerhalter hat Kessler abgefräst und die militärische Flügelsicherung gegen eine horizontal arbeitende Sicherung von Jung ausgetauscht. Diese Sicherung hat wie die Originalsicherung eine Mittelstellung und erlaubt das Offnen des Verschlusses bei gesicherter Schlagbolzenmutter. Damit sich der Kammerfang bequem bedienen lässt, ist die Stirnseite mit einer griffigen Fischhaut geriffelt. Die sorgsam polierten Verschlussbahnen sorgen für einen sauber gleitenden Verschlussgang. Der Kammerstängel mit großer Kugel ist so gebogen, dass er in Höhe des Abzuges endet und so schnelles Repetieren ermöglicht. Um die Büchse möglichst schlank zu halten, wurde der Durchmesser des Hülsenkopfes von ursprünglich 35,8 Millimeter auf 32,4 Millimeter verringert. Das System erscheint dadurch wesentlich zierlicher. Durch die aufwändigen und umfanggreichen Modifikationen hat Kessler aus einem groben Militärsystem ein schlankes und niedrig bauendes System für eine elegante Jagdbüchse gemacht.

 

Lauf und Visierung

In den jetzt schlanken Hülsenkopf ist ein kaltgehämmerter, 55 Zentimeter langer Stufenlauf der Firma Heym eingeschraubt. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass hier ein noch schlankerer Lauf benutzt wird, um Gewicht zu sparen, doch der Lauf der Testwaffe misst an der Mündung noch 15 Millimeter. Sehr dünne Läufe haben selten eine wirklich gute Schussleistung und sind entsprechend wärmeempfindlich. Kessler wählt daher eine etwas stärkere Laufkontur und geht diesen Problemen damit aus dem Weg. Sicher ein guter Kompromiss, denn was nützen 100 eingesparte Gramm, wenn die Waffe dadurch nicht präzise schießt?


Die Visierung besteht aus einem nach vorn geneigten, quergeriffelten Standvisier mit U-Kimme von 3,4 Millimetern und einem 2,5 Millimeter breiten, roten Balkenkorn. Das Standvisier ist seitlich in den Schwalbenschwanz des Laufsockels eingeschoben, der genau wie der Kornträger aufgelötet ist. Für die schlanke Waffe fallen die verwendeten Visierteile etwas grob aus, bieten dafür aber ein sehr gutes, kontrastreiches Visierbild. Wie bei der Laufkontur also auch hier ein Kompromiss zwischen Aufmachung und Praxistauglichkeit. Der vordere Riemenbügel ist mit einem Ring über den Lauf gezogen und befindet sich 22 Zentimeter von der Laufmündung entfernt. Für einen 55 Zentimeter langen Lauf genau der richtige Abstand für eine gut ausbalancierte Trageweise.

 

Der Schaft

Für den Schaft wurde Nussbaumholz mit ansprechender Maserung verwendet, ohne dass man hier aber von Luxusholz sprechen kann. Hier richtet sich Kessler aber nach dem Wunsch des Kunden, und wer besseres Holz haben will, bekommt dies gegen Aufpreis auch. Die Schaftform kann nur als gelungen bezeichnet werden und erinnert schon an eine Kipplaufbüchse. Der Hinterschaft mit leichtem Schweinsrücken und kantiger, bayerischer Doppelfalzbacke ist für den Schuss über das Zielfernrohr ausgelegt. Abgeschlossen wird der Schaft mit einer dünnen, unventilierten WEGU Gummikappe. Der schlanke Pistolengriff mit leichter Verdickung an der rechten Seite so schlank, dass er auch in zierliche Damenhand passt. Das Pistolengriffkäppchen steht aus Edelholz. Durch gekürzte Magazin und den flach bauenden Abzug hat die Kessler keinen "Bauch“ und ist auch im Magazinbereich schnittig. Um den Übergang vom relativ schmalen Pistolengriff in wesentlich breiteren Systembereich optisch gut zu überbrücken, verdickt sich Schaft mit formschönen Backen im Bereich der hinteren Hülsenbrücke. Eine Schaftgestaltung die früher recht häufig, hier aber eher selten zu sehen Der Vorderschaft besteht gerade aus soviel Holz, wie unbedingt nötig, und verjüngt stark bis zur angesetzten Tropfnase aus dunklem Edelholz. Pistolengriff und Vorderschaft sind mit scharfer Fischhaut verschnitten, die für besten Halt sorgt. Trotz der schlanken Schäftung liegt die Kessler sehr gut im Anschlag und auch „ausgewachsene Männer“ können mit dieser zierlichen Büchse gut und sicher umgehen. Das gesamte Systembett und auch das Laufbett bis kurz hinter die zweite Stufe sind mit Kunstharz ausgegossen. Hinten ist eine Pilarbettung angebracht, bei der vorderen, der Verbindungsschraube, sitzt der Zapfen durch die hier sehr schlanke Schäftung fast direkt auf dem Abzugblech. Ein Zapfenlager mit hübsch gravierten und grau gebeizten Deckschrauben sorgt für eine günstigere Übertragung der Rückstoßkräfte. Die Einpassung von System und Magazinkasten im Schaft ist vorbildlich, der Lauf kann im Vorderschaft frei schwingen.


Schussleistungsprüfung

Die Büchse wurde auf die Standardprüfentfernung von 100 Metern unter Verwendung eines Preußschen Schießgestelles geschossen. Zwischen den Schüssen wurden Pausen von jeweils 10 Minuten eingehalten. Ein erstes Schussbild mit der RWS-Laborierung 6 g TMS ergab einen Streukreis von 3,4 cm bei fünf abgegebenen Schüssen. Ein zweites Bild mit 8,2-g-Kegelspitzgeschoss dem von RWS brachte ein ähnlich gutes Ergebnis von 3,5 cm. Zur Höchstform lief die Testwaffe jedoch mit einer bewährten Handlaborierung mit dem 7,8-g-Nosler-Ballistic-Tip vor 44 Grains Rottweil R 907 auf. Hiermit lagen die fünf abgegebenen Schüsse. in einem Streukreis von nur 2,2 cm. Eine bemerkenswert gute Schussleistung für die kleine 98er.

 

Resümee

Die vorgestellte Pirschbüchse von Roland Kessler zeigt, dass auch unter Verwendung des altbewährten Mauser-Systems M 98 der Bau einer schnittigen und fast schon zierlich zu nennenden Repetierbüchse möglich ist. Komplett mit Zielfernrohr wiegt die Kessler nicht mehr als eine Standard-98er ohne Optik. Drei Patronen im Magazin sind ausreichend und bieten genügend Feuerkraft für eine Jagdwaffe. Die Präzision der Testwaffe kann nur als sehr gutbezeichnet werden. Sicherheitsschrauben für die Systemschrauben wären bei dem zweiteiligen Abzug-System von Kessler aber wünschenswert und würden beim Führen der Büchse sicher eine sehr „beruhigende Wirkung“ haben. Der hohe Anteil an Büchsenmacherarbeit schlägt sich natürlich im Preis nieder, und so müssen für die Kessler Superleicht 4850 Mark auf den Tisch gelegt werden. Viel Geld für einen Repetierer mit überarbeitetem Militärsystem, doch die umfangreichen Modifikationen und die Handschäftung sind entsprechend zeitaufwändig. Dafür erhält der Käufer für sein Geld nicht nur eine praxisgerechte, präzise und wirklich schnittige Jagdwaffe, sondern auch ein Stück guter Büchsenmacherarbeit, und da jede Büchse nach Kundenabsprache gefertigt wird, auch ein Stück Individualität. Im Zeitalter der CNC-Massenfertigung sicher ein Punkt, der bei den Überlegungen vor dem Kauf einer neuen Jagdwaffe immer mehr an Bedeutung gewinnt.


TEXT UND BERICHT VON NORBERT KLUPS